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Nicht mal Auge um Auge in Nahost – Innehalten im Rachedrang

Posted by on in Torsten Brügge
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Herzzerreißende Rache
Die neusten Entwicklungen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erlebe ich als herzzerreißend schmerzlich. Drei israelische Jugendliche wurden entführt und kaltblütig umgebracht. Entsetzen und der Schmerz der Angehörigen und anderer Israelis sind wohl kaum zu ermessen. Die Wut auf die Ausführenden solcher Gräultaten ist zunächst verständlich. Der archaische Anteil unserer menschlichen Psyche reagiert auf solchen Schmerz rasch mit Gedanken an gewalttätige Rache. Noch schmerzhafter ist, dass es in Nahost nicht bei Rache-Gedanken bleibt. Tatsächlich gab es grausame Vergeltungsschläge. Die lösen dann rasch die typische Spirale von Gewalt und Gegengewalt aus. In diesen Tagen schraubt sie sich wieder mächtig in die Höhe. Beide Parteien gehen nach demselben primitiven Prinzip vor: Rache.
Im Angesicht dieses schon Jahrzehnte andauernden Schlagabtausches kam bei mir der Gedanke auf "Das ist wie im alten Testament: Auge um Auge. Zahn um Zahn." Die Bibelstelle im 2. Buch Mose klingt wie eine genaue Handlungsanweisungen für einen Schlachter oder Folterknecht: „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule.“ Doch dann wurde mir klar: Das Auge-um-Auge-Prinzip entspricht keineswegs den Vergeltungsmaßnahmen der gegnerischen Parteien im nahen Osten. Bei den Israelis ist das vordergründig sehr offensichtlich. Mit Zahlen von Todesopfern zu hantieren ist eine heikle Sache, da sie den dahinter liegenden Schmerz der Betroffenen mit kühler Statistik ausblenden. Doch die nackten Ziffern haben in diesem Konflikt eine Aussagekraft, die man nicht ignorieren kann.


Schlimme Unverhältnismäßigkeit
Die „Zeit“ schrieb Ende 2012: „Auch wenn die Israelis einen Preis zahlen, steht er in keinem Verhältnis zu dem der Palästinenser. Die – bisher – beispiellose Gewaltanwendung während der Offensive Gegossenes Blei im Jahr 2008/2009 zeigte sich allein schon im extrem ungleichen Verhältnis der Opferzahlen: Den 1.400 palästinensischen Toten standen 13 israelische gegenüber.“ (http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-11/israel-gaza-militaer-hamas-angriffe) In den anderen Phasen des Konflikts war das Zahlenverhältnis nicht derart extrem, doch es fiel immer massiv zu Ungunsten der Palästinenser aus. Und diese Opferzahlen sind kein Zufall, sondern auf den bewussten Einsatz der vielfach stärkeren Militärmittel Israels zurückzuführen.


Von wegen faire Vergeltung
Ich will hier keineswegs das Vorgehen der Palästinenser mit ihren ebenso grausamen Selbstmordattentaten und dem wiederkehrenden Raketenbeschuss israelischer Wohnviertel rechtfertigen. Sie gehen ebenso nach einem archaischen Racheprinzip vor. Würden die radikalen Kräfte in Palästina über zerstörerische Mittel verfügen, würden sie vermutlich ebenso unverhältnismäßig töten. So stellt auch die ständige Gewaltbedrohung der  israelischen Bevölkerung durch palästinensische Extremisten ein große Belastung da. Doch die Unverhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung zu Ungunsten Palästinas scheint für mich erschreckend offensichtlich.
In den nächsten Wochen wird sich zeigen, wie viele Menschen auf beiden Seiten im Zuge der Gewaltspirale, die auf den Mord an den drei israelischer Jugendlichen folgt, sterben müssen. Schon jetzt während ich schreibe sind neben den 3 Todesopfer auf israelischer Seite 120 Todesopfer auf palästinensischer Seite zu beklagen. Ganz zu schweigen von dem Leid all der Verwundeten und den langfristigen Kriegsfolgen der massiven Zerstörungen. Heute habe ich die Nachricht gehört, dass mittlerweile 1100 Luftangriffe mit insgesamt 800 Tonnen Bomben auf den Gazastreifen, ein Gebiet halb so groß wie Hamburg, gefallen sind. Dort gibt es keine Bunker oder Schutzräume! 
Erst durch die Offensichtlichkeit der drastischen Unverhältnismäßigkeit wurde mir klar: Das Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Prinzip dient tatsächlich als intelligente Abmilderung ausufernder archaischer Blutrache. Auf der Ebene von Vergeltung bringt dies immerhin eine gewisse Fairness: „Schlägst Du mir einen Zahn aus, darf ich Dir auch einen ausschlagen. Aber wirklich nur einen!" Wenn schon auf Vergeltung nicht verzichtet wird, wäre es doch wünschenswert, sich wenigstens an dieses biblische Prinzip zu halten! Das würde die Gewalt um vieles mindern.


Innehalten im Racheimpuls
Zugleich ist eine nachhaltige Befriedung der Gewalt erst in Sicht, wenn das Vergeltungsprinzip grundsätzlich hinterfragt und auf Racheakte verzichtet wird. Die Gestalt Jesu im neuen Testament bietet genau dieses andere Modell: „Wenn dich einer auf rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die linke hin“. Damit lädt Jesus zu einem radikalen Innehalten im Rachereflex ein. Das bedeutet nicht, dass Gewaltverzicht immer die Lösung ist. Kommt Gewaltlosigkeit nicht aus innerer Überzeugung, sondern ist nur äußerliche verordnet, wird sie nicht nachhaltig wirken. Doch wenn rachsüchtige Vergeltung als unvermeidliche Lösungsstrategie dargestellt wird, so zeigt Jesus hier eine andere reifere Wahlmöglichkeit auf.
Im Racheimpuls innezuhalten ist wahrlich keine Kleinigkeit. Denn damit verzichten wir auf Verteidigung und Gegenwehr. Sich nicht zu wehren, bedeutet die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit unseres Seins als körperliches und soziales Wesen zuzulassen. Wir gehen das Risiko ein, dass unsere Identität als Körper und unsere erweiterten Identitäten mit Partnerschaft und Familie ausgelöscht werden. Das ist die direkte Begegnung mit Todesangst und Verlustserdenschmerz. Um trotz Todesbedrohung innezuhalten, braucht es die Bereitwilligkeit den Schmerz, der den Racheimpuls antreibt, unmittelbar zu spüren. Schrecken. Trauer. Hilflosigkeit. Verzweiflung. Das sind tiefere Schichten brennender Gefühle, die wir gewöhnlich durch das Ausagieren des Zornes oberflächlich entladen oder kontrollieren wollen.
Solches unmittelbare Fühlen ist schon in eher harmlosen Alltagssituationen eine Herausforderung: Unser Chef stutzt uns Recht. Unser Nachbar will uns vervollkommnen. Unser Lebenspartner hat schon wieder etwas an uns auszusetzen. Blitzschnell taucht ein Racheimpuls auf. Als archaische Überlebensstrategie ist das ganz natürlich. Wir alle verfügen über das Stammhirn eines Alligators als einen Teil unseres dreiteiligen Gehirns. Das hat einen Beißreflex und schlägt gerne blitzschnell um sich, wenn es sich bedroht fühlt. Meist mildert unser sozialeres Säugetiergehirn den Impuls ab. Es weiß, dass wir uns auch anpassen müssen, wenn wir in der Herde überleben wollen. Wir bleiben freundlich und zugewandt. Unsere Großhirnrinde korrigiert auch mit gedanklichen Kommentare: „Das kannst du jetzt nicht so einfach rauslassen.“ Oft finden wütende Racheimpulse dann über einen Umweg doch ihren Ausdruck. Wir sind beleidigt. Wir zürnen heimlich. Wir schmollen und grollen. Meist in der Hoffnung, der Andere möge dadurch doch endlich seine Schuld einsehen und sich anders verhalten.


Alchemie des Schmerzes
Doch es gibt auch die Möglichkeit, den Rachegedanken – so normal ihr auftreten auch ist - nicht zwanghaft zu folgen. Dann eröffnet sich eine mystische Alchemie. Wir erfahren, wie ein Innehalten in Wut, Schmerz und Angst uns erstaunlicherweise zu innerem Frieden durchbrechen lassen kann. Das ist keine Zauberei, sondern eine Sache psychologisch-spiritueller Reife und direktem Erleben. Es ist möglich, in mitten von Trauer und Verzweiflung süße, transzendente Liebe zu erspüren. Es ist möglich, durch das freie Zulassen von Wut zu gelassener Kraft und liebevoller Klarheit zu finden. Es ist möglich, Angst unmittelbar zu erleben und durch sie hindurch zu allumfassendem Vertrauen in die Unberechenbarkeit des Lebens zu erwachen. Durch solche „inneren Alchemie“ weitet sich unser Identitätsgefühl von einem um sein Leben fürchtenden kleinen Ichs zum großen ICH-ICH des ewigen Seins. Von dort aus ist es ganz natürlich, ohne die schädlichen Auswirkungen von Schuld- und Vergeltungsgedanken zu leben und zu handeln. Das ist jedenfalls meine Erfahrung mit all den Wellen von heftigen Gefühlen, die in meinem Leben aufgetaucht sind.
Zugleich weiß ich nicht, wie ich reagieren würde, wenn – wie in Nahost -  mir nahestehende Menschen willkürlich von Fremden entführt und getötet oder durch ihre Bomben zerfetzt würden. Würde in mir trotz solcher extremen Umstände die Bereitwilligkeit zum Innehalten wach bleiben? Würde ich etwaige Vergeltungsimpulse spüren, ohne sie zerstörerisch auszuleben? Wäre die Erkenntnis meiner wahren Natur als stilles, liebevolles Gewahrsein immer noch derart präsent, dass sie archaische Rachegelüste ins Leere auslaufen lässt? Ich weiß es nicht. Doch ich spüre die Kraft, dass es so sein könnte.


Innere Friedensförderung
Ein schönes Beispiel für das Potential des Innehaltens im Angesicht entsetzlicher Lebensereignisse zeigt der Film „Mein Leben ist meine Botschaft“ auf. Er dokumentiert das Wirken des vietnamesischen, buddhistischen Mönches Thich Nhat Hanh. In dem von ihm in der Nähe von Bordeau in Süd-Frankreich gegründete Praxiszentrum „Plum Village“ bietet er Meditations-Retreats an. Tausende Menschen habe diesen Ort schon besucht. Der Film schildert die berührende Begegnung von israelischen und palästinensischen Friedenaktivisten, die gleichzeitig an einem solchen Retreat teilnehmen. Die Schilderungen machen sehr deutlich, wie das Innehalten inmitten des schlimmsten Schmerzes zu einer tieferen Ebene von menschlicher Verbundenheit und Frieden führen kann.
 (Der Film ist hier zu erwerben: http://www.auditorium-netzwerk.de/AutorInnen/S-T/Thich-Nhat-Hanh/Thich-Nhat-Hanh-Mein-Leben-ist-meine-Botschaft-Thich-Nhat-Hanh-erzaehlt-sein-Leben::1554.html)
Diese Welt braucht Menschen, die die spirituelle Tiefe besitzen, sich nicht in Racheimpulsen gehen zu lassen, sondern auch durch den Schmerz hindurch den transzendenten Wesenskern des Menschen erspüren. Je mehr Menschen dazu innerlich bereit und fähig sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit für Frieden auch im Außen und in politischen Krisensituationen.
Manchmal gibt es berührende, ganz konkrete Beispiele von Menschen, die mitten im Feuer von Gewalt und Krieg leben und friedvoll bleiben: Zum Beispiel der Palästinenser Ismael Khatib. Sein zwölfjähriger Sohn wurde im Flüchtlingslager Dschenin auf tragische Weise von israelischen Soldaten erschossen. Statt Racheimpulsen nachzugeben, erklärte sich Khatib dazu bereit, dass die Organe seines Sohnes auch an israelische Kinder als Organspenden weitergegeben werden durften. Damit löste er eine Welle von Erstaunen, Betroffenheit und Dankbarkeit bei den Israelis aus. Vier israelische Kinder leben heute mit den Organen seines getöteten Sohnes.
Befragt ob er glaube, dass seine Geste hilft, dem Frieden näher zu kommen, antwortet er: „Ich hoffe es. Die Organspende war für mich eine größere Tat, als wenn ich als Selbstmordattentäter nach Israel gegangen wäre.“ (Hier der Link zu einem Artikel und dem Dokumentarfilm über diese außergewöhnliche Handlung: http://derunertraeglichestandpunkt.de/?nodeID=361
)
Solche Taten machen deutlich was Mahatma Ghandi schon vor 70 Jahren sagte: „Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“. Und mir fallen auch die Worte meiner Lehrerin Gangaji ein. Sie lädt im Angesicht des Leidens, dessen Zeuge wir in der Welt immer wieder werden, dazu ein, berührbar zu bleiben und immer wieder zum Kern friedvoller Liebe zurückzukommen. Sie sagt: „Wir können uns erlauben, unser Herz brechen zu lassen. Es kann immer weiter und weiter aufbrechen.“

Mögen alle Wesen ihre wahre Natur erkennen
Om Shanti

Torsten Brügge, Hamburg den 13.7.14

P.S.: mehr zu Gangaji: www.gangaji.org


 

 

 

 

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