Hallo Torsten,

nachdem ich gesehen hatte, dass du in deinem Blogeintrag vom 8. Mai Ken Jebsen aufgrund von Benjamin Krämers Einwand erst rausgenommen, ihn dann wieder reingenommen hast, fühlte ich mich angetickt, da doch mal selbst zu schauen, wer das ist. Ich kannte Jebsen bisher nicht. (In manchen Fällen funktioniert das Skandalisieren also, um bekannt zu werden).

(Aufgrund eines technischen Problems hatte ich Monate lang keinen Blogeintrag schreiben können und hatte auch keine Lust bzw. keine Zeit, mich dem Problem zu widmen. Nun habe ich es heute endlich mithilfe meines Webredakteurs lösen können. Dank also auch in der Hinsicht an Ken Jebsen ;-)

Ich hab mir dann den Youtube-Film angesehen, auf den du gelinkt hast, in dem er von einem Radio-Redakteur der Piraten interviewt wird und habe trotz der Länge dieses Films ihn bis zu Ende gesehen. Aus verschiedenen Gründen: wegen der m.E. tatsächlich existierenden Maulkörbe bzgl. Israel und Palästina, wegen der leidigen Frage was (politisch) braun und deshalb für Gutmenschen "untouchable" ist, und auch weil sein Ranting so nervt und doch so faszinierend leidenschaftlich ist, alles das hat mich dabei festgehalten.

Erstmal: Ich finde es gut, dass du Jebsens Namen in deinen Blog-Text wieder reingenommen hast. Er hat was zu sagen. Ausgrenzen ist (meist) keine gute Methode. Auch wenn Jebsen in manchem irrt (wie du und ich und wir alle) ist das kein Grund, ihn auf Verdacht als Braunen (Rechten) zu behandeln, nur um dadurch nicht selbst in Verruf zu kommen. Ausgrenzungsmethoden der politischen Korrektheit sind nicht nur nur Denkblockaden, innovationsfeindlich und einer Diskussionskultur unwürdig, sie sind auch menschlich unfein, können in Mobbing ausarten, haben schon 'Existenzen' (wirtschaftlich) vernichtet und Menschen in den Selbstmord getrieben. Obwohl es andererseits verständlich ist, dass man sich mit Menschen, die einen aufgrund einer Besessenheit, eines Ticks oder sonst einer Verirrung nerven, nicht beschäftigen will. Ich auch nicht. Ich möchte soweit ich kann der Souverän bleiben, der selbst entscheidet, welchem Thema er sich zuwendet.

Falls dieser Film über Jebsen ihn in seiner typischen Art zeigt, ist es eine arge Strapaze mit ihm einen Dialog führen zu wollen, denn er redet vor allem selbst gerne, viel, schnell und laut. Getrieben von seiner Wichtigkeit hat er keine Scheu, seinen Gesprächspartner zu unterbrechen überschüttet ihn dann wie ein Wasserfall. Oder eher – wegen der Wutladung seiner Rede – wie eine Maschinengewehrsalve. 

Jebsen findet Israel aggressiv. Da hat er recht. Israels Umgang mit den Palästinenern ist unmenschlich, und das wird nur nur von den USA so unterstützt und gut geheißen, sondern weitgehend auch von Deutschland, natürlich aufgrund des Schuldkomplexes Holocaust. Wer zu diesem Thema forscht und die Ergebnisse nicht für sich behält, greift in ein riesiges Wespennest voller Verdächtigungen, Maulkörbe, Missverständnisse und übler Nachrede. Da scheint mir – das hat Jebsen trotz seiner wütenden Art gut zur Sprache gebracht – ein Opferbewusstsein die Wurzel zu sein. Gewalttäter handeln oft im Opferbewusstsein. 

Der schlimmste Krieg aller Zeiten wurde am 1. September 1939 begonnen mit dem Angriff der deutschen Truppen auf Polen und Hitlers im Radio verkündeten Worten "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen". Zurückgeschossen??? Es war doch ein Angriff und zudem auf einen viel schwächeren Gegner. Hitler selbst hatte ein Opferbewusstsein (das im 1. Weltkrieg unterlegene Deutschland, vom Versailler Vertrag gegängelt, das Gefühl von zu wenig Lebensraum usw.), und das verschmolz bei diesem Angriff mit dem aus verschiedenen Gründen ähnlichen Opferbewusstsein der Deutschen, kräftig unterstützt von raffinierter Propaganda. Man wollte den Eindruck erwecken sich zu verteidigen, während man angriff. 

Jeder Mensch hat ja eine gewisse Scheu vor Gewalt, aber wenn man in Not ist und sich verteidigen muss, gilt Gewalt als gerechtfertigt, deshalb versucht der Angreifer, insbesondere bei kriegführenden Mächten, sich als Opfer darzustellen, als selbst angegriffen und in Notwehr handelnd. So ja auch die Angriffe der USA auf Afghanistan und Irak nach 9/11, bei denen sich gemäß der Suggestionen ihrer Regierung der Großteil der US-Amerikaner als Opfer empfand, das sich gegen "die Terroristen" verteigen müsse.

Durch den Holocaust waren die Juden in eine maximale, kaum zu übertreffende Opfersituation geraten, was ja auch von fast jedem auf der Welt so gesehen und anerkannt wird. Und sie haben recht damit: Sie waren Opfer. Das gilt aber längst nicht mehr in dem Maße für den Staat Isreal, schon gar nicht seit dem Sechstagekrieg von 1967. Israel ist im Nahen Osten heute eine Großmacht. Die Opfer sind heute die Palästinenser. (Das alles sind natürlich Pauschalaussagen, im Einzelfall mag es auch mal anders aussehen. Sprache macht unvermeidlich immer Pauschalaussagen.) Die Israelis aber empfinden sich als Opfer, glauben sich in einer Notwehrsituation und deshalb berechtigt, Gewalt anzuwenden. Das prangert Jepsen zu recht an.

Nun ist Jepsens wütender Monolog aber selbst eine Art von Gewaltäußerung. Seine Wortkaskaden kommen mir vor wie Maschinengewehrsalven. Er redet seine Gegner nieder, sogar den ihm freundich gesonnen Radioredakteur redet er quasi über den Haufen. Wer Jebsen zuhört, kann nun leicht sich selbst als Opfer fühlen, niedergeredet, zugetextet, nicht gehört, nicht zu Wort gekommen – Jepsens Rede ist verbale Gewalt. Da muss man schon sehr viel Verständnis für Zusammenhänge haben, um nun nicht Jepsen zu attackieren, und so setzt sich die Gewalt unendlich fort.

Einwand: Jebsen wendet verbale Gewalt an, um Verhältnisse anzuprangen, die physische Gewalt anwenden. Verbale Gewalt – "Empörung" (Stephane Hessel) – gegen Verhältnisse übermächtiger physischer Gewalt, vielleicht ist das in manchen Situationen nicht nur verständlich, sondern gut. Anderseits traue ich einem Menschen, der wie ein Maschinengewehr redet auch physische Gewalt zu. Vielleicht lässt er so Dampf ab – Hunde, die bellen, beißen nicht. Vielleicht aber redet er sich dabei in Rage und ist danach noch wütender als voher. Ich weiß es nicht. Und ich habe wirklich nur diesen Film von ihm gesehen, sonst nichts, und habe auch keinen Text von ihm gelesen. 

Trotzdem: Danke für die Gelegenheit zu dieser Untersuchung des Gewaltpotenzials von Opferbewusstsein!

LG

Wolf